Eine junge Frau sitzt auf grünem Rasen. Auf ihren verschränkten Beinen hat sie ein offenes Buch und ein Notizheft abgelegt. In das Buch schreibt sie mit einem Kugelschreiber. Die Frau hat braune Haare und trägt ein sommerliches Shirt sowie eine kurze Hose. Wir sehen ihr schräg über die Schulter.

Der Insasse von Sebastian Fitzek

„Who the fck is Ftzk?“

In den Büchern von Sebastian Fitzek geht es um Pädophile, Mörder und Verrückte – es gibt viel Blut und viel Gewalt. Der Bestsellerautor aus Berlin polarisiert – seine Fans verehren ihn als „Thrillerkönig“; seine Kritiker verachten ihn, unter ihnen Literaturkritiker Denis Scheck. Er bezeichnet Fitzek als „Nulllinie der deutschen Gegenwartsliteratur“. Dazwischen gibt es nicht viel. Im Shop von Sebastian Fitzek können sich die Hardcorefans T-Shirts, Brettspiele und Schlüsselanhänger kaufen. Auf einem der T-Shirts steht: „Who the fck is Ftzk?“
Ja – wer ist Fitzek denn nun? Thrillerkönig oder Nulllinie? Vor kurzem ist sein neuestes Buch Der Insasse erschienen – Zeit, die Frage endgültig zu klären.

Die Marke Fitzek

Der Insasse spielt in einem Berliner Vorort. Dort verschwindet der sechsjährige Max Berkhoff – verdächtigt wird der psychisch kranke Guido Tramnitz, der bereits zwei Kindermorde gestanden hat. Tramnitz sitzt in einem psychiatrischen Gefangenenkrankenhaus und beteuert trotz klarer Indizien, nichts mit Max’ Verschwinden zu tun zu haben. Der Vater von Max, Till Berkhoff, sehnt sich nach Gewissheit. Um das Verschwinden seines Sohnes aufzuklären, schleust sich Till Berkhoff schließlich selbst in die Klinik ein – als falscher Patient.

Nach dem Lesen des 384-Seiten langen Buches ist eines klar: Auch Fitzeks neuestes Buch polarisiert. Das fängt bei dem Hardcover an, das im Stil einer weißen Gummizelle gehalten ist und sich perfekt in die Marke Fitzek einfügt: anders und spektakulär.
Jeder, der das Grundprinzip von Thrillern versteht, der wird die Rahmenhandlung um Till Berkhoff und seinem verschwundenen Sohn schnell durchschauen. Auf dem Weg dorthin tauchen die klassischen Fitzek-Elemente auf: Gefühlt jedes Kapitel endet mit einem pointierten Cliffhanger, der zum Weiterlesen animieren soll – die Sprache ist einfach und die Charaktere flach. Der Autor wagt wenig Neues und umso mehr Altbewährtes. Die Kritiker werden sich durch Der Insasse bestätigt fühlen.
Ganz so einfach ist es aber nicht.

Franz Kafka? – Thomas Mann? – Stephen King? – Fitzek!

Fitzek selbst sagt, man muss „unterschiedliche Maßstäbe an unterschiedliche Bücher anlegen“. Und das stimmt. Die Schwächen des Buches sind offensichtlich; auch die des Autors. Der Insasse ist nicht komplex, nicht tiefgründig und berühren tut einem die Geschichte auch nicht. Ist das schlecht?
Nein.
Es muss nicht immer ein Epos sein; eine Metaebene geben; einen moralischen Mehrwert haben – genau das zeigt Fitzek. Der Insasse ist ein Zwischendurchbuch. Man darf seine Gedanken auch mal schweifen lassen und im Standby Modus sein – die Streichhölzer zwischen den Augen können zerbrochen und weggeworfen werden. Der Leser fliegt durch Der Insasse. Kaum hat man angefangen, klappt man das Gummizellen-Hardcover zu und legt das Buch weg. Dann vergisst man es wieder.
Wer Der Insasse liest, der bekommt seichte Unterhaltung – und mehr will der Autor doch gar nicht. Was Fitzek dazu sagt, dass er als deutscher Stephen King betitelt wird?
„Naja, dass Stephen King das bestimmt nicht so gerne hört.“
Das kann man als vorsätzlich, bescheidene Marketingmasche sehen oder man sieht es als das, was es ist – nämlich, dass Fitzek selbst nie den Anspruch auf Superlative erhoben hat.
Fitzek ist kein Franz Kafka oder Thomas Mann. Fitzek ist Fitzek, mehr hat er nie behauptet.

Dorsch oder Burger?

Eine Sache gibt es aber noch. Und die kann man dem Autor diesmal nicht verzeihen. Denn er bricht die wichtigste Regel einer Geschichte: Alles dient der Geschichte. Wenn ein Autor beispielsweise ein Haus beschreibt, dann muss dieses Haus auch zur Geschichte beitragen und relevant sein – sei es für die Atmosphäre oder als Handlungsort. Fitzek hat bei Der Insasse einen kompletten Handlungsstrang, der ins absolute Nichts führt – er ist ganz einfach nicht relevant für die Geschichte. Manch einen wird das vielleicht nicht stören. Die Hardcorefans sowieso nicht. Für manch anderen ist es aber vor allem eines: Unverzeihlich.

Also dürfen die Kritiker weiter schimpfen und die Fans sich weiter freuen? Das kommt darauf an, welche Erwartungen man selbst an Sebastian Fitzek hat.
Wer das versteht, der versteht seine Bücher.
Wer das nicht versteht, der versteht auch seine Bücher nicht.

Fazit: 1 von 5 Sternen 2 von 5 Sternen 1 2 3

Fitzek zu lesen, ist wie zum ranzigen Burgerladen um die Ecke zu gehen: Das Brot ist labbrig, das Fleisch zäh, der Salat trocken – unter dem Tisch kleben noch Essensreste.
Beim Restaurant gegenüber glänzen die Tische, der Dorsch ist auf den Punkt gebraten, die Kartoffeln knusprig und der Salat knackig. Jeder geht gerne in das Restaurant.
Aber manchmal hat man halt Bock auf den ranzigen Burgerladen.