Rechts im Bild befindet sich ein junger Mann mit grauem T-Shirt, der eine Kamera um die Schulter trägt. Er hat ein Mikrofon in der Hand und hält es einer jungen Frau mit langen braunen Haaren hin, die ein schwarzes Top trägt. Es handelt sich um eine Interview-Situation. Im Hintergrund befinden sich Bäume und dahinter Gebäudefassaden. Die Personen sitzen auf einer Treppenstufe aus Stein.

Zwischen Schallplatte und „Trap“

Peter Hinze, 50, ist Musiker, Musiklehrer und Chorleiter. Im Interview erklärt er, warum er Handymusik in der Kirche spielt, wie die Chorszene heute noch überleben kann und wieso er eigentlich nie etwas mit Musik machen wollte. Mit seiner Frau und seinem Sohn wohnt Peter Hinze in Preetz bei Kiel.

Peter Hinze am Keyboard

Herr Hinze, Sie unterrichten Gesang, Gitarre, Bass, Klavier, Keyboard und Musiktheorie; Sie leiten mehrere Chöre und schreiben die Chorsätze dafür selbst. Nebenbei spielen Sie auf Partys Live-Musik und in der Kirche Orgel – gibt es bei Ihnen eigentlich auch einen Tag ohne Musik?

Das geht nicht. Auf der einen Seite ist Musik meine Arbeit, auf der anderen Seite bin ich es selbst. Wenn ich mit meiner Frau morgens am Kaffeetisch sitze, dann sagt sie manchmal: „Peter, wo bist du denn gerade?“ Dann bin ich körperlich anwesend, meine Gedanken sind aber bei der Musik.

Erinnern Sie sich, wie Ihre Beziehung zur Musik angefangen hat?

Ja, das war eine Triangel im Kindergarten – von dem Ding war ich total fasziniert. Später, in der dritten Klasse, habe ich angefangen Klavierunterricht zu nehmen. Jeden Tag habe ich Klavier gespielt. Irgendwann habe ich mir dann noch Gitarre spielen selbst beigebracht. Ich erinnere mich sogar daran, wie ich mir mal zu einem Geburtstag zwei Banjos gewünscht habe. Meine Lehrerin hat damals zu mir gesagt: „Peter, du musst eines Tages Musik studieren.“

Haben Sie das damals auch schon so gesehen?

Für mich war klar, dass ich später studiere – aber nicht Musik. In meiner Familie wurden eher Naturwissenschaften studiert, etwa Physik oder Chemie. Dass ich das nicht konnte, war klar. Trotzdem bin ich damals noch nicht auf die Idee gekommen, Musik zu studieren. Es war nie die Frage, ob ich beruflich etwas mit Musik mache.

Dann kam es allerdings doch so. Warum?

Mitte 20 war mir klar: „Du musst irgendwas studieren, was du schaffst.“ Ich habe dann angefangen, Betriebswirtschaftslehre zu studieren. Während des Studiums habe ich einen Freund wiedergetroffen, mit dem ich früher viel Musik gemacht habe. Der hat mich ins Kabarett mitgenommen, und ich habe zu dieser Zeit viel Klavier gespielt. Das Studium habe ich schließlich beendet und für ein paar Jahre in einer Künstleragentur gearbeitet. Erst dann habe ich angefangen, Kirchenmusik zu studieren.

Gibt es einen Grund, dass es ausgerechnet Kirchenmusik geworden ist?

Aus Angeberei. Ich wollte, dass andere sagen: „Wow“. Erst später habe ich gemerkt, was Musik für mich bedeutet. Damals ging es meiner Mutter sehr schlecht. Sie ist gestorben, als ich ungefähr 30 war. Ich habe zu dieser Zeit stundenlang in der Kirche gesessen und Orgel gespielt – die Musik hat mir damals Halt gegeben. Erst durch diese Extremsituation habe ich erkannt, was Musik für mich wirklich bedeutet. Und wenn mich heute jemand fragt, ob er Musiker werden soll, dann sage ich zu ihm: „Da brauchst du dir keine Gedanken drum zu machen – die Musik holt dich ab. Da kannst du nichts gegen machen. Dieser Moment ist wie eine Art „Coming-Out“.“ So war das dann auch bei mir: nachdem ich Kirchenmusik fertig studiert hatte, habe ich noch für ein paar Jahre als Manager in einer Firma gearbeitet, bis ich mich schließlich ganz der Musik gewidmet habe.

Und heute leiten Sie Chöre mit bis zu 70 Mitgliedern...

Erst wollte ich das gar nicht. Damals hat meine Frau die Zeitung durchgeblättert und gesagt: „Peter, hier wird eine Chorleitung gesucht.“ Allein habe ich mir das nicht zugetraut. Ich habe mal in einem Chor gesungen, aber nie einen selbst geleitet. Mit einer Kollegin – die hat sich das auch nicht allein zugetraut – habe ich dann doch angefangen. Das war vor zwölf Jahren. Mittlerweile leiten wir beide unsere eigenen Chöre.

Hat Sie die Arbeit als Chorleiter verändert?

Wenn man regelmäßig vor so vielen Menschen steht, lernt man im Laufe der Zeit viel dazu. Es geht ja nicht nur um Musikalität: da sehe ich mich eher als Handwerker, der Lieder bearbeitet. Ich lasse die Leute zum Beispiel abstimmen, welches Lied sie singen wollen und schreibe dann dazu die Chorsätze. Wenn man Musik als Handwerk versteht, bleibt man außerdem auf dem Teppich. Vor allem aber habe ich menschlich dazu gelernt. Über die Jahre entwickelt man ein Gefühl: Was kann ich den Menschen in den eineinhalb Stunden zumuten? Wann muss ich einen Song wiederholen, statt einen neuen einzuüben? Wann bringe ich Spaß rein, wann Ernst? Ich lerne dabei ja auch selbst. Ich bin selbst Schüler und werde auch immer Schüler bleiben – ab dem Tag, wo ich aufhöre Neues aufzusagen, kann ich meine Arbeit vergessen.

Apropos „Neues“ und „Vergessen“: Kirchenmusik und Chöre – klingt in einer Zeit von digitalen Musikprogrammen, Streaming-Diensten und Bluetooth-Boxen nicht gerade zeitgemäß…

Ich finde die neuen Möglichkeiten genial! Es gibt ja verschiedene Spinner in mir – einer davon ist ein Technik-Nerd. Ich habe immer das Neueste vom Neuen. Heute Nachmittag habe ich zum Beispiel Kinder in der Kirche unterrichtet. Gerade bei Kindern kann ein Instrument erstmal wie eine Barriere wirken. Also habe ich vor dem Unterricht Songs auf dem Keyboard eingespielt, die ich dann auf das Handy geladen habe. Die Kinder sitzen im Kreis um das Handy und hören den Song: dabei ist die Musik viel näher dran, als wenn ein Instrument dazwischen steht. Die Kinder lieben das. Meinem Sohn, der ist 13 – dem habe ich zu Weihnachten ein Musikprogramm geschenkt, das wir beide nutzen. Dank ihm weiß ich jetzt, was ein „Trap“ ist: schnelle Beats, tiefe Bässe, Hi-Hat-Schläge.

Musik und Moderne zusammenzuführen scheint Ihnen leicht zu fallen: Was entgegnen Sie den Leuten, die unbedingt auf Plattenspieler und Vinyl beharren?

Es gibt ja Musiker, die regen sich auf und sagen: „Früher, da haben wir Schallplatten verkauft.“ Ja, früher – früher sind wir mit dem Werbewagen in der Gegend rumgefahren. Was solls? Ich finde es gut, dass es so viele neue Möglichkeiten gibt. Gleiches gilt übrigens für die Leute, die sagen: „Die Chorszene ist tot. Die junge Leute wollen das nicht mehr.“ Dann antworte ich: „Das stimmt doch gar nicht, was ihr da erzählt.“ Man kann heutzutage nun mal nicht mehr mit alten Vereinskonzepten ankommen.

Sondern?

Du musst einfach mit der Zeit gehen. Eine Möglichkeit, ist zum Beispiel Nischen anzubieten. Das klappt bei uns mit Hippie-Musik und Schlagern super. Du musst die Leute nur jedes Mal neu begeistern – gerade bei den Chören brauchst du immer wieder frische Ideen. Die Leute arbeiten acht bis zehn Stunden – da musst du ihnen klarmachen, dass die nächsten eineinhalb Stunden nur für sie sind. Du musst es schaffen, die Leute auf den „Planet Musik" zu holen.

Was passiert mit Ihnen selbst, wenn Sie auf „Planet Musik“ gelandet sind?

Manchmal merke ich während der Probe, dass ich total glücklich bin. Das ist grundlos und ich weiß nicht, woher das kommt. Die Leute merken das und fragen mich: „Was ist denn gerade los mir dir, Peter?“ Beantworten kann ich ihnen das nicht – ich weiß nur, dass es dieser Moment ist, der mich glücklich macht.

Was ist Ihnen bei Musik am Wichtigsten?

Musik besteht aus Rhythmus, Melodie und Harmonie – Harmonie ist für mich das Wichtigste. Denn Harmonie entsteht einerseits dann, wenn die Töne zueinander passen: du hast zwölf Töne, die immer wieder neu angeordnet werden. Musik ist aber nicht nur die Ansammlung von Tönen. Musik ist etwas, das Menschen zusammenbringen und verbinden kann. Das sehe ich als meine wichtigste Aufgabe.