Nahaufnahme der Hände. Ein Architekt zeichnet einen Grundriss.

Das Architekturstudium kommt zurück nach Kiel

Portrait von Jan Schulz. Er sitzt in seimen Büro vor einer Wand aus Holz und Glas. Herr Schulz ist groß und schlank, trägt ein dunkles Hemd und eine Brille.
Jan O. Schulz in seinem Büro in Kiel © 2019 Anna Heimann

Jan O. Schulz ist Partner des Kieler Architekturbüros BSP Architekten BDA. Er war neun Jahre lang Landesvorsitzender des Bundes Deutscher Architekten Schleswig-Holstein. Zusammen mit seinem Nachfolger Christian Schmieder war er einer der Impulsgeber für den Hochschulpakt „Initiative Bauwesen Schleswig-Holstein“.

Herr Schulz, in Schleswig-Holstein herrscht Architektenmangel. Warum ist das so?

In ganz Deutschland gibt es einen Architektenmangel, weil die Baukonjunktur gerade sehr hoch ist. In Schleswig-Holstein haben wir die Sondersituation, dass wir nur die eine Ausbildungsstätte in Lübeck haben. Dort fangen 90 Architekten pro Jahr an, davon werden vermutlich maximal 90 Prozent fertig. Von denen geht ein guter Teil nach Hamburg – man schätzt zwischen 25 und 30 Prozent. Das ergibt ungefähr 60 fertige Absolventen in Schleswig-Holstein jedes Jahr. Allerdings hat unser Bundesland allein aus demografischen Gründen einen Bedarf von jährlich ungefähr 180 bis 200 Leuten, weil so viele Architekten in Rente gehen. Das ist eine große Lücke, die gefüllt werden muss. Da Schleswig-Holstein kein Hochlohnland ist, ist es schwierig, Leute beispielsweise aus Stuttgart oder aus München hier hoch zu holen.

Welche negativen Auswirkungen sind in Schleswig-Holstein zu spüren?

Eine ganze Menge. Zum einen können wir, also freischaffende Büros, nicht so schnell planen, wie wir planen wollen, weil uns einfach die Leute fehlen. Zum anderen merkt man bei den Ämtern, dass zum Beispiel Bebauungspläne und Baugenehmigungen viel länger brauchen als früher. Die Stadt Kiel hat beispielsweise 23 offene Stellen im Architekturbereich, die sie im Moment nicht besetzt kriegt. Das ist in Lübeck sicher weniger stark, weil sie dort die Hochschule haben, aber in Flensburg ist es noch schlimmer.

Warum gibt es denn derzeit in Kiel kein Architekturstudium?

Bis vor 10 Jahren gab es an der Muthesius Kunsthochschule eine Architekturausbildung. Aber Anfang der 2000er Jahre hat das Land eine Kommission eingesetzt, um die Hochschul-Situation auf Einsparmöglichkeiten zu überprüfen. Es wurde empfohlen, die damaligen drei Architekturstandorte – Eckernförde, Kiel und Lübeck – auf einen einzustampfen. Etwas verkürzt könnte man sagen: Kiel sollte den Hauptstudiengang Medizin behalten, dafür bekam Lübeck die Architektur. Damals dachte man, ein Studienstandort in Lübeck würde reichen. Was offensichtlich ein Fehler war.

Warum soll es in Kiel einen neuen Standort geben und nicht der bestehende in Lübeck ausgebaut werden?

Die Leute, die in Lübeck studieren, orientieren sich nach dem Abschluss räumlich nicht weiter als bis Plön oder Eutin. Es ist in vielen Hochschulen so, insbesondere aber bei Fachhochschulen, dass die Studenten sehr regional verwurzelt sind. Es kommt schlichtweg kaum jemand aus Lübeck nach Kiel oder nach Flensburg. Eine Vergrößerung in Lübeck würde zwar dazu führen, dass dort mehr Studenten ausgebildet werden, aber die würden trotzdem nicht unbedingt nach Flensburg gehen. Deswegen braucht es einen zentralen Standort. In Schleswig-Holstein ist das Kiel. Man muss den Studierenden außerdem eine gewisse Attraktivität durch Kultur- und Freizeitangebote bieten und die ist am ehesten in Kiel gegeben.

Die FH Kiel hat sich bereiterklärt, den Studiengang aufzunehmen. Wie kam es zu dieser Entscheidung?

Mit dem Bund Deutscher Architekten haben wir vor zweieinhalb Jahren unsere Initiative gestartet und haben versucht, die Hochschulen dafür zu interessieren und die Landesregierung auf diese Problematik aufmerksam zu machen. Seinerzeit haben wir mit allen Hochschulen gesprochen. Die FH Kiel hat zuerst abgewunken, sie wollte keine weiteren Diskussionen mit Lübeck bezüglich neuer Studiengänge anfangen. Nachdem wir eineinhalb Jahre mit allen möglichen Leuten gesprochen haben, ist allgemein klar geworden, dass die Not sehr groß ist. Man hat festgestellt: es gibt im Grunde gar keine Konkurrenz, man ergänzt einander. Das führte dazu, dass die FH Kiel sich doch einen eigenen Architekturstudiengang vorstellen könnte. Also man musste sie letztendlich ein bisschen da hinziehen, aber jetzt, glaube ich, wollen sie das aus Überzeugung.

Was haben Sie bisher erreicht?

Erstens haben wir ein gewisses Wohlwollen der Politik erreicht, indem wir seit zwei Jahren Gespräche führen. Zweitens haben wir erreicht, dass es mit der „Initiative Bauwesen“ eine Organisation gibt, in dem neben den Branchenverbänden auch – und das ist ein totales Novum in Schleswig-Holstein – tatsächlich alle Hochschulen vertreten sind und gemeinsam überlegen, wie man den Architekturstudiengang wieder etablieren kann. Wir versuchen alle mit einer Stimme zu sprechen, denn wenn man sich einig ist, ist das für die Politik ein sehr starkes Signal. Außerdem haben wir es geschafft, dass die FH Kiel letztlich doch gesagt hat „wir machen das“.

Was sind die nächsten Schritte?

Das Wesentliche, was uns fehlt, ist, dass wir die Politik noch davon überzeugen müssen, auch tatsächlich Geld locker zu machen. Dabei müssen wir die Wirtschaftspolitik genauso überzeugen wie die Bildungspolitik. Denn es muss klar gemacht werden, dass sich der Wirtschaftszweig deutlich reduzieren wird, wenn hier keine Architekten ausgebildet werden.

Wann wird das Architekturstudium wieder angeboten werden?

Zu Anfang wollten wir 2019 soweit sein. Das wird nicht funktionieren, der Zug ist abgefahren, den kriegen wir nicht mehr. Wir arbeiten jetzt darauf hin, dass Ende 2020 der neue Studiengang an der FH Kiel startet. Das traut sich die Hochschule auch zu. Man wird zunächst wahrscheinlich in gemieteten Räumlichkeiten starten müssen, weil an der FH noch nicht alles vorhanden ist. Aber das reicht erstmal aus, um einen Studiengang aufzusetzen. Meine Befürchtung ist, wenn wir Ende 2020 nicht starten, werden wir auch 2021 nicht starten können, weil dann wieder Landtagswahlen sind. So kurz vor einer Wahl ist es immer ein bisschen schwierig, so etwas durchzusetzen. Ich hoffe also, dass wir es in dieser Legislaturperiode durchgesetzt bekommen. Man muss nicht gleich mit den angestrebten 80 oder 90 Studierenden loslegen, wichtig ist, dass es überhaupt los geht und man ins Machen kommt. Es wäre gut, wenn es wenigstens einen Anfang gäbe.