Eine junge Frau sitzt auf grünem Rasen. Auf ihren verschränkten Beinen hat sie ein offenes Buch und ein Notizheft abgelegt. In das Buch schreibt sie mit einem Kugelschreiber. Die Frau hat braune Haare und trägt ein sommerliches Shirt sowie eine kurze Hose. Wir sehen ihr schräg über die Schulter.

Der Outsider von Stephen King

Der lästige Spiegel

Wenn ein Terminkalender voll ist, dann der von Stephen King. Der Meister des Horrors produziert nicht nur Bücher am laufenden Band, sondern ist auch in der Filmbranche gefragt wie nie zuvor. Der zweite Teil von ES soll 2019 in die Kinos kommen. Tommyknockers und Doctor Sleep werden ebenfalls in den nächsten Jahren verfilmt. Friedhof der Kuscheltiere erhält ein Remake und The Stand wird als Miniserie produziert. Die erste Staffel von Castle Rock ist bereits vollständig ausgestrahlt.
Kein Wunder also, dass sein neuestes Buch Der Outsider, als zehnteilige Miniserie verfilmt werden soll. Bei so viel Aufmerksamkeit und Trubel um den Schreckensautor aus Maine, stellt sich den eingefleischten Kingfans bei jedem neuen Roman immer wieder Frage: Hat der Altmeister es noch drauf?

Die Geschichte von Der Outsider spielt in der beschaulichen Kleinstadt Flint City. Dort wird die geschändete Leiche des elfjährigen Frank Peterson gefunden. Die Tatortspuren weisen eindeutig auf Terry Maitland hin. Ein beliebter Baseballcoach, Englischlehrer und verheirateter Vater von zwei kleinen Töchtern. Während des entscheidenden Saisonspiels wird Maitland in aller Öffentlichkeit auf Anweisung von Detective Ralph Anderson verhaftet, dessen Sohn selbst unter dem Coach trainiert hat. Im Laufe der Ermittlungen wird der scheinbar eindeutige Fall immer verzwickter. Maitland kann ein zweifelfreies Alibi vorweisen, doch Anderson und der zuständige Staatsanwalt Bill Samuels liegen klare DNA-Beweise und Zeugenaussagen gegen den Verdächtigten vor. Umso länger die Ermittlungen andauern, desto obskurer wird der Fall. Es stellt sich die entscheidende Frage: Kann ein Mensch an zwei Orten gleichzeitig sein?

Der 748 Seiten lange Roman beginnt als Kriminalfall und wird im Laufe der Geschichte zu einem klassischen Stephen King Roman. Die ersten dreihundert Seiten des Buches sind klar der Star der Geschichte. King schafft eine unglaublich dichte Atmosphäre. Das idyllische Kleinstadtfeeling ergänzt sich wunderbar mit den detailliert geschriebenen Charakteren. Kings herausragende Leistung ist es, die Mentalität der Einwohner von Flint City einzufangen, und in einen modernen Kontext zu setzen. Es ist erschreckend zu sehen, wie der gefeierte Liebling der Stadt, Terry Maitland, plötzlich als dämonisches Wesen maskiert wird, dem manch einer sogar den Tod wünscht. Die Geschichte um Maitland zeigt, wie schnell eine Person im Jahre 2018 abgesägt wird. Sei es die sensationsgeladene Berichterstattung oder die Videos und Fotos, die unkontrolliert geteilt werden. Die Neuigkeiten verbreiten sich wie ein Lauffeuer in der Stadt und die Einwohner von Flint City nehmen sie dankend an. Trotz keinem endgültigen Rechtspruch darf die Familie Maitlands nicht mehr an der Gesellschaft teilhaben. Die Gier der Menschen nach tragischen Geschichten und die perfiden Neigungen nach schnellen und einfachen Antworten, münden in der Vorverurteilung Maitlands. Es ist erschreckend und interessant zugleich, Terry Maitland und seine Familie dabei zu beobachten, wie sie um ihren Status kämpfen. Als Leser möchte man das Buch gar nicht mehr aus der Hand legen, sodass man mit seiner eigenen Schaulust konfrontiert wird. King zeigt nicht nur der Gesellschaft seinen Spiegel vor, sondern auch dem Leser selbst. Großartig.

In der Mitte der Geschichte schlägt die Handlung dann in eine ganz andere Richtung um. Es werden neue Charaktere eingeführt, wobei es sogar ein Wiedersehen mit Romanfiguren aus den früheren Werken Kings gibt. Ohne dabei zu viel zu verraten, tauchen ab hier die klassischen, übernatürlichen Horrorelemente Kings auf. Leider ist ausgerechnet das der Punkt, ab dem die Geschichte ein wenig vor sich hindümpelt. Es treten einige Merkwürdigkeiten auf und alles läuft auf den großen Showdown am Ende hin. Das Buch bleibt zwar weiterhin spannend, aber nach dem wunderbar inszenierten Anfang wäre hier deutlich mehr drin gewesen.

Fazit: 1 von 5 Sternen 2 von 5 Sternen 3 von 5 Sternen 4 von 5 Sternen 1

So bleibt am Ende ein Hybrid aus Kriminalroman und klassischer Horrorgeschichte, der sein Potenzial nicht vollends ausschöpft. Das Buch reiht sich leider nicht neben den großartigsten Werken Kings ein. Auch wenn Der Outsider im zweiten Teil etwas abflacht, schafft es Stephen King die Probleme unserer Zeit aufzugreifen und sie mit einer spannenden Geschichte zu verknüpfen. Was bleibt, ist ein Buch, bei dem nicht nur treue Leser auf ihre Kosten kommen, sondern auch diejenigen, die mal wieder einen lästigen Spiegel ihrer Selbst benötigen.
Welcher TV-Sender die Miniserie zu Der Outsider verfilmen darf, ist noch unklar. Aber eins ist sicher: Es wird sich mal wieder lohnen.