Rechts im Bild befindet sich ein junger Mann mit grauem T-Shirt, der eine Kamera um die Schulter trägt. Er hat ein Mikrofon in der Hand und hält es einer jungen Frau mit langen braunen Haaren hin, die ein schwarzes Top trägt. Es handelt sich um eine Interview-Situation. Im Hintergrund befinden sich Bäume und dahinter Gebäudefassaden. Die Personen sitzen auf einer Treppenstufe aus Stein.

Nina regelt das schon!

Regina Anker-Kalwis sitzt in ihrem Büro und telefoniert
Regina Anker-Kalwis berichtet, warum sie die Arbeit in ihrem männerdominierten Betrieb so schätzt - und warum ihre Jungs ihr so am Herzen liegen. © 2019 Tyadina Lahmann

Regina Anker-Kalwis ist tough.
Eine Frau, die so leicht nichts aus der Ruhe bringt. Diese Eigenschaft ist für sie auch dringend nötig, da sie als einzige Frau mit 15 männlichen Kollegen in einem Betrieb zusammenarbeitet. Wie sie ihren Beruf in einem geschlechterungleichen Betrieb wahrnimmt und wie sie sich dabei fühlt, berichtet sie Tyadina Lahmann im Interview.

Liebe Frau Anker-Kalwis, schön, dass ich Ihnen heute einige Fragen stellen darf. Sie arbeiten in einer besonderen beruflichen Position. In ihrem Unternehmen sind Sie die einzige weibliche Person neben 15 männlichen Angestellten. Richtig?

Ja, moin moin, das tue ich doch sehr gerne. Ob ich in einer besonderen beruflichen Position arbeite, müsste man genauer definieren. Ich glaube, dass mein Job von außen betrachtet als besonderer empfunden wird, als ich ihn selber sehe. Aber ja, ich bin die einzige Frau bei meiner Arbeit.

Was genau arbeiten Sie denn?

Ich bin kaufmännische Angestellte in einer Firma für Bau- und Landmaschinenservice. Eigentlich bin ich dort so etwas wie die Sekretärin oder auch „Mutter für alles“, wie ein Azubi immer so schön sagt.

Bau- und Landmaschinen hört sich, rein oberflächlich betrachtet, schon nach einer Domäne an, die eher von Männern belegt wird. Wie sind Sie dazu gekommen?

Nachdem meine beiden Kinder so alt waren, dass ich wieder ins vollwertige Berufsleben einsteigen konnte, hörte ich mehr oder weniger zufällig von einer freien Stelle in dieser Firma. Ohne eine umfangreiche Bewerbung wurde ich dann recht schnell zu einem Probearbeiten eingeladen. Die junge Frau, dessen Arbeit ich übernehmen sollte, war schwanger. Nach meinem ersten und einzigen Probetag wurde ich dann am darauffolgenden Morgen mit den Worten „Du müsstest heute direkt anfangen. Frau B. kommt nicht wieder, das Baby ist schon da. Hast du Lust?“ eingestellt. Vielleicht sollte das genau so laufen.

Haben Sie sich also gar nicht explizit gewünscht, in einer Männerdomäne zu arbeiten? Hatten Sie gar keine Bedenken bezüglich der Geschlechterverteilung?

Nein, ich habe mir zunächst einfach einen Beruf gewünscht, in dem ich nach dem Erziehen meiner Kinder wieder komplett einsteigen kann. Die Hintergründe, wie zum Beispiel die Geschlechterverteilung, waren mir erstmal egal. Daher hatte ich diesbezüglich auch gar keine Bedenken. Warum auch?

Das klingt in gewisser Weise schon selbstbewusst. Hat diese Einstellung einen Ursprung? Was haben Sie denn vor der Geburt Ihrer Kinder beruflich gemacht?

Wenn ich genauer darüber nachdenke, fällt mir auf, dass ich noch nie in einem „typischen Frauenberuf“ gearbeitet habe. Das fängt schon damit an, dass ich eine Ausbildung zum Industriekaufmann bei der VVK GmbH, also genauer gesagt bei den Stadtwerken Kiel, gemacht habe. Die Ausbildung wurde damals immer so betitelt, egal ob Mann oder Frau. Anschließend war ich Sachbearbeiterin bei der KVAG-Schifffahrt. Auch dort habe ich mit rund 80 Männern und nur einer weiteren Frau zusammengearbeitet. Ich bin diese Art von Arbeit also mehr oder weniger gewohnt.

Daher weht der Wind vermutlich! Wie war es denn, nach einer gewissen Zeit in einer neuen Firma ausschließlich von Männern empfangen zu werden? Ich stelle mir das weniger emotional vor, als man sich das als Frau vielleicht erhofft.

So war das absolut nicht. Ich wurde wirklich sehr herzlich hier empfangen. Dadurch, dass ich nach meinem einzigen Probetag mehr oder weniger ins kalte Wasser geschmissen wurde, dauerte meine Einarbeitung natürlich etwas länger. Aber da haben die Männer alle mit dem nötigen Verständnis reagiert. Ich habe mich also von Anfang an sehr wohl hier gefühlt.

Was genau sind denn eigentlich Ihre Aufgaben?

Im Grunde genommen übernehme ich all die Aufgaben, die eine typische Sekretärin so macht. Ich bin hauptsächlich für die Auftragsbearbeitung und die Leitung der Auszubildenden zuständig. Dazu gehören Fakturierung, Rechnungsbuchungen, Zeitenabrechnungen und dergleichen.

„Ehrlicher Weise genieße ich aber auch einfach die Position der Mutti.“
— Regina Anker-Kalwis

„Die Mutti sein“ – wie meinen Sie das?

Da ich nicht nur die einzige Frau in unserer Firma, sondern auch eine der ältesten Angestellten hier bin, habe ich irgendwie automatisch so eine Rolle übernommen. Wenn hier und da mal etwas unaufgeräumt liegen bleibt oder einer von meinen Jungs ein Problem hat, kümmere ich mich immer sehr gerne darum. „Nina regelt das schon“, heißt es häufig.

Sie sprechen von „Ihren Jungs“. Das hört sich so an, als hätten Sie ein sehr gutes Verhältnis zu Ihren Kollegen.

Und wie! Wäre dies nicht der Fall, könnte ich mir die Zusammenarbeit wohl kaum vorstellen. Allerdings hat da auch eine gewisse Entwicklung stattgefunden. Hat der Eine oder Andere mir zu Anfang nicht jede Arbeit zugetraut, wurden diese „Zweifel“ schnell abgelegt. Klischeedenken spielt bei den Meisten wohl oder übel immer noch eine Rolle. Damit möchte ich aber weiß Gott niemanden angreifen – ich glaube, dass das ganz automatisch passiert.

Wie haben sich diese Zweifel damals geäußert?

Ich glaube, dass meine Jungs damals daran gezweifelt haben, dass ich mich mit der Thematik zurechtfinden kann. Immerhin geht es hier hauptsächlich um Bagger, Radlader und sowas. Als ich damals meinen Job begann, merkte ich schnell, dass unter Männern ein oftmals rauerer Ton herrscht. Da wurde mir dann schon mal ein vermeintlich lustiger Spruch wie „Wo bleibt denn der Kaffee?“ an den Kopf geworfen. Da bleibe ich aber ganz gelassen. Ich weiß ja, dass das nur ein Spaß sein soll.

Das heißt, dass es über die Zeit zu einer gewissen Entwicklung gekommen ist?

Auf jeden Fall. Ich arbeite seit mittlerweile sechs Jahren hier und glaube, dass wir uns alle miteinander zu einem starken Team aufgestellt haben. Glücklicherweise ist unser Betrieb und damit auch die Größe des Teams recht familiär. Vielleicht wäre meine Position in einem größeren Betrieb nicht so. Zu der Entwicklung lässt sich definitiv sagen, dass es sehr viel ausmacht, wie man miteinander umgeht. Ich zeige meinen Jungs meinen Respekt dafür, wie sie hier arbeiten und versuche, sie aus organisatorischer Hinsicht so gut wie möglich zu unterstützen. Andersherum geben sie mir aber auch das Gefühl, dass bei mir die Fäden zusammenlaufen. Das mag ich sehr.

Wie genau meinen Sie das?

Ach, ich muss schon sagen, dass es auch unter Männern mal zu Streitigkeiten kommen kann. Die zicken sich zwar nicht so an, wie es Frauen oftmals nachgesagt wird. Da kümmert sich keine um den Kleidungsstil oder die Frisur oder so etwas Bescheuertes. Aber ich erlebe auch schon hin und wieder, dass es mal lauter zwischen den Männern wird, wenn ein Werkzeug liegen gelassen wird oder sie sich uneinig sind, wie ein Fußballspiel ausgehen wird. Nein, nein, Spaß beiseite. Ich meine nur, dass ich immer versuche, Problemchen sachlich auszudiskutieren und somit in Ruhe aus der Welt zu schaffen. Und damit kommen die Jungs dann meistens zu mir. Ich glaube, dass wir da alle miteinander einen guten Weg gefunden haben.

So löblich ich das auch finde, muss ich noch einmal auf diese gewissen lauten Situationen eingehen. Haben Sie da vielleicht eine bestimmte Geschichte zu erzählen?

Na klar, da sind über die Jahre tatsächlich so einige Storys angefallen. Manchmal könnte ich da echt die Hände über dem Kopf zusammenschlagen. Vor gar nicht all zu langer Zeit kam mein aktueller Azubi beispielsweise mit einem blutüberströmten Gesicht in mein Büro getorkelt. Als ich ihm voller Sorge regelrecht entgegen sprang, sagte er ganz benebelt, dass das Ganze halb so wild sei. Er war nur gegen einen Bagger gestoßen und habe daher ein wenig Nasenbluten bekommen. Ehrlich, er sah schlimm aus. „Die Männer meinten, ich soll mich nicht so anstellen und gleich weiterarbeiten.“, sagte er ganz benommen. Da das Nasenbluten nicht aufhörte, fuhr ich dann mit ihm zum Arzt. Letztendlich stellte sich heraus, dass er sich tatsächlich eine leichte Gehirnerschütterung zugezogen hatte. Als ich dann in die Firma zurück gefahren bin und die Monteure informierte, reagierten alle unterschiedlich: die Einen mit Verständnis und Dankbarkeit und die Anderen mit einem leichten Schmunzeln auf dem Gesicht. „Ach, der Azubi mal wieder. Der muss noch einiges lernen“. Aber so ist das nun mal: da kann ja nicht jeder so überreagieren wie die Mutti im Haus, so wie Jungs sagten. Aber das ist auch vollkommen okay so.

Wenn wir gerade bei dem Thema sind, wie unterschiedlich Menschen in gewissen Situationen handeln: Könnten Sie sich vorstellen, dass eine Frau als Monteurin zwischen Ihren Jungs arbeitet?

Aber natürlich! Mich würde das sogar freuen. Passender Weise wird bei uns gerade eine Frau eingearbeitet, die die Jungs beim Schrauben unterstützen soll. Das war schon lustig, die Gesichter der Männer zu sehen, als ich ihnen erzählte, dass sie wohl bald weibliche Unterstützung in der Werkstatt bekommen werden. „Hä? Kann die denn auch richtig anpacken und so?“, hieß es zum Beispiel. Und wie sie das kann. Sie schert sich überhaupt nicht um ihre Fingernägel, hat ein enormes Hintergrundwissen über alle möglichen Maschinen und kann auch mal einen derben Spruch raushauen. Das finde ich richtig klasse.

„Man sollte sich heutzutage einfach wirklich von jeglichem Klischeedenken entfernen.“
— Regina Anker-Kalwis

Klischeedenken – meinen Sie das explizit in Bezug auf Geschlechterrollen in der Berufswelt?

Ach, ich meine das ganz allgemein. Meiner Meinung nach ist es völlig egal, ob sich eine Frau für einen Beruf in einer Männerdomäne entscheidet oder andersherum. Wer definiert denn schon, ob oder wann etwas eine „Männerdomäne“ ist? Wichtig ist doch einfach, dass man seinen Beruf gerne, gewissenhaft und ehrlich ausübt. Vermeintliche Regeln darüber, wie etwas geschlechtermäßig zu sein hat, finde ich Quatsch.

In diesem Moment wird das Interview passender Weise kurzzeitig von einem Monteur unterbrochen. Er klopft an der Tür und fragt, ob wir auch einen Kaffee möchten. Er würde uns gerne einen aufsetzen. Wir schmunzeln und bejahen freundlich.

Liebe Frau Anker-Kalwis, ich danke Ihnen vielmals für den privaten Einblick in Ihr Berufsleben und Ihre offene Meinungsbekundung zu dem Thema. Ich denke, dass die jetzige Situation einen passenden Abschluss bietet. Ich wünsche Ihnen weiterhin viel Spaß mit Ihren Jungs!